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Regionales Wirtschaften als Ergänzung zur Globalisierung

(Sinn und Zweck einer regionalen Wirtschaftsweise)

Warum wirtschaften wir?

Um den Sinn einer regionalen Wirtschaftsweise zu verstehen, ist es nötig, sich mit dem Grund des Wirtschaftens zu beschäftigen. Die Frage lautet: Warum wirtschaften wir überhaupt?

Wirtschaften wir, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln? Wirtschaften wir, um auf dem Weltmarkt zu bestehen? Oder wirtschaften wir, um die Aktienkurse steigen zu lassen? Für manche Menschen mögen die genannten Gründe ihr persönlicher Sinn des Wirtschaftens sein, für die Vielzahl der Menschen ist die Wirtschaft jedoch der gesellschaftliche Raum, in dem sie ihren Lebensunterhalt bestreiten.
Menschen wirtschaften, weil sie Bedürfnisse haben, die sie (sich) erfüllen wollen. Essen, Wohnen, Bildung, Kultur, Vergnügen und Reisen – dies und vieles mehr ist nicht einfach so vorhanden und nutzbar. Diese Güter und Leistungen sind für uns nur nutzbar, weil andere Menschen sie für uns ermöglichen: Indem sie wirtschaften. Weil wir wirtschaften!

Wir wirtschaften also aus Notwendigkeit, denn ohne Wirtschaft gibt es keine Versorgung. All die Produkte und Annehmlichkeiten des (modernen) Lebens wären ohne unser Wirtschaften nicht vorhanden und nicht nutzbar.
Darüber hinaus ist es ein menschlicher Wunsch, kreativ und produktiv tätig zu sein. Die Befriedigung durch erfolgreiche Ergebnisse im Arbeitsprozess sind für die meisten Menschen genauso wichtig, wie die Zusammenarbeit mit anderen Menschen. "Wirtschaften" ist der Sammelbegriff für diese Tätigkeiten.

„Arbeit [...] vermittelt Lebenssinn.“
der deutsche Bundespräsident und ehemalige Chef des Internationalen Währungsfonds IWF Horst Köhler in seiner Weihnachtsansprache 2006

Wir wirtschaften also aus zwei Gründen:

  1. aus Notwendigkeit, denn ohne Wirtschaft keine Versorgung
  2. aus dem menschlichen Wunsch, kreativ und produktiv tätig zu sein und dem eigenen Leben einen Sinn zu geben

Wie ist eine Wirtschaft aufgebaut? Was heißt "Wirtschaften"?

Die volkswirtschaftliche Theorie kennt eine Gliederung der Wirtschaft in Sektoren, die sich wie folgt darstellen lässt:

primärer, sekundärer und tertiärer Wirtschaftssektor

Abbildung: Sektorale Gliederung einer Wirtschaft

Nach dieser Gliederung besteht eine Wirtschaft aus drei Sektoren:

  • Primärer Sektor: Urproduktion: Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei, Bergbau, Energieerzeugung
  • Sekundärer Sektor: Güterproduktion: Industrie, Bau, produzierendes Handwerk
  • Tertiärer Sektor: Dienstleistungen: Handel, Bankwesen, Verkehr/Transport, Bildungsleistungen, Kulturleistungen, Gesundheitsleistungen, Mensch-zu-Mensch-Leistungen

Die Darstellung als Pyramide soll darüber hinaus deutlich machen, dass die tiefer liegenden Sektoren die Basis sind, ohne die höher liegende Sektoren nicht problemlos betrieben werden können.

Beispiele:

  • Ohne eine stabile Nahrungsmittelversorgung (Primärer Sektor/Urproduktion) können sich die Menschen nicht um den Bau von Häusern oder handwerkliche Tätigkeiten kümmern. Essen ist für Menschen überlebensnotwendig und absolute Grundlage von allem anderen.
  • Ohne Energieversorgung (Primärer Sektor/Urproduktion) können keine Maschinen betrieben werden, ja nicht einmal elektrisches Licht, Heizung, Verkehr und (Tele-)Kommunikation sind möglich.
  • Ohne ein Dach über dem Kopf (Bau = Sekundärer Sektor/ Sachgüterproduktion) ist es unwahrscheinlich, dass Menschen Friseurdienstleistungen, Reisedienste oder Kulturleistungen (Tertiärer Sektor/Dienstleistungen) anbieten.

Aus diesem Betrachtungswinkel wird deutlich, dass eine stabile Wirtschaft "von unten nach oben" aufgebaut werden muss. Die Grundversorgung der Bevölkerung muss allen anderen Wirtschaftszweigen vorgehen, genau wie die industrielle Produktion der Dienstleistungswirtschaft vorgeht.

Warum wir eine regionale Wirtschaftsweise brauchen

Die Probleme einer einseitigen Globalisierung

Der heutige Zeitgeist vermittelt den Eindruck, alle Fragen der Grundversorgung der Bevölkerung seien geklärt. Es wird suggeriert, wirtschaftliches Bestehen auf dem globalen Markt sei die einzige Fragestellung, auf die es in der Wirtschaft ankomme. Dass dieser Ansatz zu kurz greift, zeigen globale Entwicklungen, die in besonderem Maße die Energieversorgung betreffen. Beispielhaft sei auf das Eingreifen der US-Regierung im Nahen Osten (Irak, Iran), Zentralasien (Afghanistan), Südamerika (Venezuela) und Afrika zur Sicherung der Ölversorgung verwiesen, sowie auf die Bestrebungen Europas, Zugriff auf das russische Erdgas zu erhalten.

Eine einseitige Orientierung der Wirtschaftsakteure am globalen Markt birgt die Gefahr, dass die Grundversorgung der Bevölkerung aus dem Blick gerät. Die Konzentration auf weit entfernte Märkte schafft Abhängigkeiten: Was passiert, wenn die Exportmärkte einbrechen? Sei es, weil sie gesättigt sind oder aufgrund gesellschaftlicher Instabilitäten. Ein einbrechender Absatzmarkt lässt die Einnahmen einbrechen. Dies ist weniger problematisch, wenn die heimische Grundversorgung gesichert ist. Doch was passiert, wenn die Exporteinnahmen notwendig sind, um mit ihnen Rohstoffe wie Erdöl und Erdgas oder gar Nahrungsmittel von weit her einzukaufen, weil die heimische Wirtschaft keine Alternativen dazu bietet?

Das Hauptproblem einer einseitigen Globalisierung der Wirtschaft besteht in der Schaffung von Abhängigkeiten. Diese Abhängigkeiten können in Extremfällen zu einer Versorgungslücke und gesellschaftlichen Verwerfungen führen, die dem Wunsch nach Stabilität entgegenstehen.

Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass ein rein auf den Weltmarkt orientiertes Wirtschaftssystem die Bedürfnisse der heimischen Bevölkerung aus den Augen verliert. Wie können Arbeitsplätze entstehen, wenn die globale Konkurrenzsituation eine ständige Rationalisierung im Produktionsprozess erzwingt?
Und eine mindestens ebenso wichtige Frage lautet: Wo bleibt bei dieser Entwicklung der Mensch?

Die Möglichkeiten einer ergänzenden Regionalisierung

Der Mensch lebt nicht global: In globalen Maßstäben gemessen verbringt er den Großteil seiner Lebenszeit an demselben Ort. An diesem Ort lebt er, arbeitet er und entwickelt sich und seine Umgebung.

Eine Wirtschaft, die dieser Tatsache Rechnung trägt, würde sich kleinräumiger organisieren und sich am menschlichen Maß messen: Eine regional orientierte Wirtschaftsweise. Regionales Wirtschaften würde sich ergänzend zur globalen Wirtschaftsweise verstehen und entsprechend andere Schwerpunkte setzen:
Zielsetzung einer regionalen Wirtschaftsweise ist es nicht, im globalen Wettbewerb (beispielsweise mit Exportgütern) konkurrieren zu können. Zielsetzung einer regionalen Wirtschaftsweise ist es, eine optimale Versorgung der Bevölkerung zu erreichen und es den Menschen zu ermöglichen, ihren Lebensunterhalt aus eigener Kraft zu bestreiten.

Regionales Wirtschaften muss als Ergänzung zur globalen Wirtschaftsweise verstanden werden. Den Problemen einer rein globalen Orientierung – Abhängigkeit und die Gefahr von Instabilität – setzt sie die Förderung wirtschaftlicher Un-Abhängigkeit und regionaler Selbstversorgung entgegen, sowie eine Orientierung des dezentralen wirtschaftlichen Strukturaufbaus an den Bedürfnissen der lokalen Bevölkerung. Gemäß der Erfahrung, dass sich das Große aus dem Kleinen zusammensetzt, kann die globale Ökonomie bewusst als Zusammenspiel vieler regionaler Ökonomien gestaltet werden.

Eine regional orientierte Wirtschaftsweise hat bemerkenswerte Eigenschaften:

  • die Produktion rückt näher an den Endverbraucher, was den Produktionsprozess für die Verbraucher transparenter macht und die Berücksichtigung von Menschenrechten und umweltschonenden Verfahren fördert
  • Wohnen, Arbeiten und Leben (Kultur, Bildung) rücken näher zueinander; Arbeits- und Transportwege verkürzen sich, der dafür nötige Zeitaufwand wird kleiner, umweltschädigende Emissionen werden eingespart
  • die Abhängigkeit von überregionalen und globalen Entwicklungen wird verringert, der globale Konkurrenzdruck lässt nach
  • die lokalen Ressourcen werden bevorzugt; ihre intensivere Nutzung bezieht brachliegende Kapazitäten ein: die Auslastung regionaler Unternehmen steigt, Arbeitssuchende werden in den Strukturaufbau einbezogen und finden durch ihren Beitrag zur regionalen Wirtschaft Lebens-Sinn

Ideal aufgestellt ist eine Region, wenn sie

  • die Grundversorgung der Bevölkerung aus sich selbst heraus erbringen kann (Nahrung, Wohnen, Bildung, Kultur, Gesundheitsversorgung, Regionaltransport, regionale Kommunikation)
  • und darüber hinaus Spezialgüter/Spezialdienstleistungen auf dem globalen Markt anbieten kann, um die Erlöse zum Einkauf fremder Güter und Leistungen zu verwenden

Diese Konstellation ermöglicht eine autarke Lebensweise für das Lebenswichtige sowie eine Zusatzversorgung mit Spezialgütern. Dieses Problematik trifft auf alle Regionen der Welt zu, unabhängig davon, ob sie in Entwicklungsländern oder entwickelten Ländern liegen.

Wie kann eine regional orientierte Wirtschaftsweise umgesetzt werden?

Ist regionales Wirtschaften als sinnvoll erkannt, entsteht die Frage, wie solch eine Wirtschaftsweise umgesetzt werden kann. Dazu sollen folgende Ansätze genannt werden, die an anderer Stelle intensiver beleuchtet werden:

Werkzeuge und Konzepte für regionales Wirtschaften:

Fazit

Durch eine zu große Abhängigkeit der Regionen von der globalen Wirtschaftslage entstehen Gefahren: Regionen, die sich auf Exportgüter konzentrieren, erzielen in gutem Wirtschaftsklima besonders große Einnahmen, verlieren in schlechterem Wirtschaftsklima jedoch die Möglichkeit, dringend benötigte Güter einzukaufen. Neben einer Spezialisierung für den globalen Absatzmarkt ist deshalb eine regionale Wirtschaftsweise hilfreich, um die Grundversorgung der Bevölkerung durch eine Selbstversorgung der Region zu gewährleisten. Regionales Wirtschaften ist mit Hilfe von speziellen Konzepten und Werkzeugen umsetzbar, zu denen Regionalwährungen, mittlere Technologien und weitere dezentrale Ansätze zählen.

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Fußnoten

Norbert Rost, www.regionales-wirtschaften.de, letzte Aktualisierung: 10.01.2007