Die Erfahrung zeigt: Kapitalistisch orientierte Wirtschaftssysteme verfallen zyklisch in Krisen. Diese Krisen sind mit dem Finanzsektor eng verwoben, was sich auch an der aktuellen Krise zeigt, die als "Finanzkrise" oder "Kreditkrise" derzeit (2007/2008) Aufmerksamkeit erregt. Die enge Verbindung zwischen Finanzsystem und Wirtschaftssystem tritt dort zutage, wo Waren oder Leistungen ihren Besitzer wechseln: Immer wechselt in solch einer Situation auch eine bestimmte Menge Zahlungsmittel den Besitzer. Seitdem sich die Tauschwirtschaft zu einer Geldwirtschaft weiterentwickelt hat, ist das Verrechnungssystem Geld zwingender Bestandteil jeder Transaktion, jedes Austauschprozesses innerhalb des Wirtschaftsystems.
Abbildung: Kopplung zwischen Geld und Leistung
Doch die aktuelle Krise zeigt, wo die Schwachstelle dieser Konstruktion ist: Halten die Banken oder andere Wirtschaftsakteure "ihr Geld zusammen", so werden weniger Kredite vergeben oder Kredite werden durch steigende Zinssätze sehr teuer. Wo aber die Kreditvergabe einschläft, da werden Firmen pleite gehen, weil sie kurzfristige Auftragsausfälle nicht überbrücken können, da werden Investitionen verschoben, die dringend nötig wären und Projekte verworfen, die keine Finanzierung finden. Und wo die Geldleihe teurer wird, da finden Investitionen nicht mehr statt, weil die hohen Kapitalkosten die zu erwartenden Gewinne übersteigen, da gehen Schuldner pleite, weil sie die Zinsen nicht mehr bedienen können, da steigt die Unsicherheit bei jedem, der in irgendeiner Form mit der Wirtschaft verbunden ist – und das sind wir alle.
Das Finanzsystem ist eine neuralgische Stelle innerhalb der Wirtschaft und innerhalb der menschlichen Gesellschaft. Jedes Problem des Finanzsystems wirkt ansteckend auf alle anderen Bereiche menschlichen Lebens.
Waren- und Leistungsaustausch sind nur möglich, wenn ein Tauschmittel in ausreichender Menge vorhanden ist. Geld entsteht durch Kredit. Wird die Kreditvergabe durch zentrale Schaltstellen im ökonomischen Netzwerk zurückgefahren, so sinkt die verfügbare Menge des Tauschmittels. Dabei basiert Geld heute "nur" noch auf Information in Computernetzen – jeder Besitzer eines Bankkontos weiß das. Geld, das sind heute Bits und Bytes in Computern und eher in Ausnahmefällen wird es in Form von bedrucktem Papier (Banknoten) sicht- und greifbar.
Daraus folgt aber auch, daß Verrechnungssysteme, die wie Geld funktionieren, nicht mehr zwingend monopolisiert sein müssen und die Menge des Tauschmittels beabsichtigt oder systemimmanent knapp gehalten werden muß. Vielmehr bietet die technologische Entwicklung (Elektronik, Computer, Internet) vielen Akteuren die Möglichkeit, eigene Verrechnungssysteme zu installieren.
Hier liegt die Chance moderner Verrechnungssysteme, die als Sicherheitseinrichtung für eine ausufernde globale Kredit- und Finanzkrise dienen können.
Redundanz als Konzept aus Informatik bzw. Ingenieurswesen übernehmen
Für Architekten des Wirtschaftssystems kann ein Blick in andere Wissensbereiche hilfreich sein. Sensible und kritische Systeme und Systemkomponenten sind in der Infrastruktur der informationsverarbeitenden Industrie immer doppelt oder mehrfach ausgelegt: Server, Festplatten, Kommunikationswege. Fällt eine Komponente aus, übernimmt die zweite ihre Arbeit und das System funktioniert trotz Fehlfunktion weiter. Die Wirtschaftsinfrastruktur ist der Kommunikationsinfrastruktur sehr ähnlich: In beiden Systemen geht es um den Austausch: Austausch von Informationen (IT) bzw. Austausch von Gütern und Dienstleistungen (Wirtschaft). Hinzu kommt, dass Währungen und Finanzsysteme inzwischen zunehmend aufbauend auf der Infrastruktur der Informationstechnik realisiert werden: Elektronisches Geld und bargeldlose Verrechnung ist allgegenwärtig und basiert auf Technologien der informationsverarbeitenden Industrie.
Das Konzept der Redundanz kann in der Wirtschaft angewendet werden, indem die Finanzinfrastruktur mehrfach ausgelegt wird. Bislang basiert das Wirtschafts- und Finanzsystem nur auf einem Zahlungsmittel und damit einem Verrechnungssystem, Sicherungs-Redundanzen gibt es nicht. Bekommt das eine System ein Problem wird dieses Problem in allen mit dem Geldsystem in Verbindung stehenden Bereichen spürbar sein – und das heißt in diesem Fall: Die Finanz- und Kreditkrise wird Auswirkungen in allen Bereichen der Ökonomie und damit der Gesellschaft haben.
Moderne Verrechnungssysteme: Tauschringe, Regionalgeld, Barterringe
Tauschringe, Regionalgeld und Barterringe haben eines gemeinsam: Sie wickeln den Austausch von Leistungen und Gütern mit Hilfe eigener Verrechnungseinheiten ab. Dazu müssen sie bestimmte Mechanismen entwickeln bzw. einsetzen, um die systeminterne Währungseinheit zu schaffen ("Geldschöpfungsprozess") und eine kritische Masse an Teilnehmern gewinnen, die diese Währungseinheiten als Tauschmittel akzeptieren. Das systeminterne Tauschmittel funktioniert dann prinzipiell genauso wie die "großen Währungen": Mit ihnen wird gezahlt, wenn ein Akteur etwas kaufen möchte und sie werden als Zahlungsmittel akzeptiert, wenn etwas verkauft wird. In einem krisenhaften Umfeld ermöglichen diese Systeme Transaktionen, die mangels Geld im etablierten Finanzsystem entfallen. An die Stelle des knappen Geldes treten dann die systeminternen Verrechnungseinheiten und erlauben Leistungsaustausch, kurz-, mittel- und langfristige Finanzierung sowie die gegenseitige Kreditvergabe zwischen den teilnehmenden Akteuren. Damit stabilisieren die Verrechnungssysteme nicht nur die wirtschaftliche Situation der teilnehmenden Akteure, sie wirken sich (gegenwirkend zur Finanzkrise) auch stabilisierend auf das Gesamtumfeld aus.
Abbildung: Mehrschichtiges Währungssystem
Auch wenn die Grundprinzipien von Tauschringen, Regionalgeld und Barterringen sich sehr ähneln, unterscheiden sich diese Verrechnungssysteme hinsichtlich ihres Einsatzfeldes und ihrer Zielsetzung:
- Tauschringe: Sehr lokale Ebene (z.B. Stadtteil), Austausch von nachbarschaftlichen Leistungen, Stärkung sozialer Bindungen
- Regionalgeld: regionale Ebene, Austausch von regional erbringbaren Gütern und Dienstleistungen, Aufbau regionaler Geschäftsbeziehungen zwischen KMUs, Finanzierungswerkzeug
- Barterring: regionale & überregionale Ebene bis hin zum globalen Einsatzfeld, Leistungsaustausch zwischen Unternehmen mit der Möglichkeit der Finanzierung durch gegenseitige Vorleistung
Alle diese Systeme können, erweitert um Marktplatzfunktionalität, computerbasiert aufgesetzt werden. Systeme wie Cyclos ermöglichen bereits heute Grundlegendes, weitere offene Systeme befinden sich in Entwicklung, die existierenden Barterringe setzen meist eigenentwickelte Software ein.
Verrechnungssysteme dieser Art sind auf lokaler Ebene umsetzbar, sie bedürfen nicht zwingend einem "Engagement von Oben", sondern liegen im Einflußbereich bürgerlichen oder unternehmerischen Engagements. Sie ergänzen das existierende Geldsystem um dezentrale Finanz-Netzwerke, die einer Finanzkrise oder gar einer grundlegenden Vertrauenskrise in die etablierten Wirtschaftsstrukturen vorbeugen.
Fazit
Kurzfristig können mit modernen Verrechnungssystemen wie Tauschringen, Regionalgeld oder Barterringen einer aufkommenden Finanzkrise entgegengetreten werden. Langfristig übertragen solche Systeme das Konzept der Redundanz zum bestehendem Geldsystem in die Ökonomie. Währungen oder dezentrale Verrechnungssysteme können dabei durchaus als Bankprodukte der Zukunft angesehen werden und tragen zu einer dezentralen Organisation des ökonomischen Systems bei.
Fußnoten
Norbert Rost, www.regionales-wirtschaften.de, Grafiken: www.heldenfall.de, letzte Aktualisierung: 08.01.2008