Lückenhafte Wertschöpfungsketten in strukturschwachen Gebieten
Zur Herstellung eines Produktes sind Vorprodukte oder Zulieferleistungen nötig. Jedes Unternehmen ist somit auf den Zukauf der Leistungen anderer Wirtschaftsteilnehmer angewiesen. Um etwas zu produzieren, ist es deshalb für jedes Unternehmen wichtig zu wissen, woher es Vorprodukte, Zulieferleistungen und auch die unternehmerische Grundlage, wie Maschinen und Gebäude einkaufen kann.
Strukturschwache Gebiete haben die Eigenschaft, nur einen Teil, der für die Produktion benötigten Zulieferleistungen selbst erbringen zu können. Verschiedene Wertschöpfungsstufen liegen deshalb außerhalb der Region und deren Produkte und Leistungen müssen von außerhalb bezogen werden.
Die Wirtschaftsstruktur der jeweiligen Region ist also lückenhaft. Sie kann aufgrund der zu diesem Zeitpunkt vorhandenen Struktur bestimmte Produktionsprozesse nicht aus sich selbst heraus anstoßen und vollbringen, woraus die "strukturschwachen Gebiete" ihren Namen haben.
Teufelskreis aus Strukturschwäche, Kaufkraftabfluß, Umsatzschwäche und Strukturabbau
Diese Lücken in der Wirtschaftsstruktur (lückenhafte Wertschöpfungskette) führen dazu, daß (Vor-)Produkte und (Zuliefer-)Leistungen "importiert" werden müssen. Durch die Bezahlung eines externen Zulieferers fließt Kaufkraft aus der strukturschwachen Region ab. Der dauerhafte Kaufkraftabfluß manifestiert jedoch die Strukturschwäche der Region durch eine zunehmende Umsatzschwäche der regional ansässigen Unternehmen. Es entstehen keine neuen Arbeitsplätze in der Region, vielmehr führt eine mangelhafte Einnahmesituation der Unternehmen tendenziell zu zusätzlicher Arbeitslosigkeit. Die Perspektivlosigkeit des Teufelskreises aus mangelnder Kaufkraft und niedrigen Einkommensmöglichkeiten bei Unternehmern und Bevölkerung fördert die Abwanderung aus der Region. Ein Anreiz für den Aufbau neuer Wirtschaftsstrukturen wird nicht nur nicht gegeben, vielmehr führt die Situation zu einem weiteren Abbau der Strukturen und damit zu neuen Lücken in den regionalen Wirtschaftskreisläufen. Die Ausgangssituation der lückenhaften Wertschöpfungsketten bleibt somit bestehen und wird zu einer sich selbst verstärkenden Problematik für die jeweiligen Regionen.
Regionalwährung zur Stimulation regionaler Wirtschaftskreisläufe und als Werkzeug zum Strukturaufbau
(Wie eine Regionalwährung hilft, regionale Wertschöpfungsketten zu schließen)
Regionalwährungen sind Zweitwährungen, die ergänzend zu den bisherigen Währungen eingesetzt werden. Eine Regionalwährung ist nur innerhalb ihrer Region gültig. Außerhalb ihrer Heimatregion findet sie nur selten Akzeptanz. (Siehe auch: Regionalwährungen/Lokalwährungen: Optimale Währungsräume) Jeder Wirtschaftsteilnehmer, der Einnahmen in Regionalwährung erzielt, ist somit in der Situation diese Einnahmen wieder in derselben Region ausgeben zu müssen. Darüber hinausgehende Einnahmen in anderen Währungen, wie Euro, können entsprechend der Akzeptanz dieser Währungen wie gewohnt verwendet werden.
Gedankenspiel Teil 1: Kaufkraftbindung und Stimulation regionaler Wirtschaftskreisläufe
Anhand des folgenden Gedankenspiels soll erläutert werden, wie Regionalwährungen als Anreiz wirken, neue Wirtschaftsstukturen aufzubauen und regionale Wertschöpfungsketten zu schließen. Beispielhaft wird davon ausgegangen, daß eine bestimmte Anzahl regionaler Unternehmer freiwillig einen kleinen Betrag Euro in Regionalwährungsscheine (Regios) umtauscht. Dies geschieht bei der Organisation, die die Regionalwährung administriert ("Regio-Initiative"). Für die Hinterlegung der Euro erhalten die Unternehmen im entsprechenden Gegenwert Regios. Auf diesem Wege ist eine anfänglich geringe Menge Regionalwährung in das Wirtschaftssystem einer Region eingebracht.
Jede Währung fließt zwischen jenen Wirtschaftsteilnehmern umher, die Zahlungen in dieser Währung akzeptieren. Bei jedem Fluß-Vorgang des Zahlungsmittels fließt eine entsprechende Menge an Produkten oder Leistungen in die entgegengesetzte Richtung: Während das Zahlungsmittel vom Käufer zum Verkäufer fließt, findet die Leistungserbringung in umgekehrter Richtung statt. Oder aus anderer Sicht: Nur der Fluß einer Währung sorgt überhaupt für den Leistungsaustausch, der arbeitsteiliges Wirtschaftens überhaupt möglich macht.
Die oben genannten Unternehmer, die anfänglich im Besitz von Regios sind, werden nun nach Möglichkeiten suchen, diese auszugeben. Sie setzen damit den Fluß der Regionalwährung in Gang. In besonderem Maße werden sie auf ihre bestehenden Geschäftsverbindungen zurückgreifen oder untereinander Geschäfte machen. Zum Teil werden sie versuchen, ihre vorhandenen Lieferanten mit dem regionalen Zahlungsmittel zu bezahlen, so daß sich das Netzwerk der Regio-Akzeptanten langsam erweitert. Zu den Lieferanten eines Unternehmens gehören neben anderen Unternehmen auch Angestellte oder Freiberufler. Da die Regios nur innerhalb der Region akzeptiert werden, werden primär regionale Lieferanten mit der Regionalwährung bezahlt. Für außerregionale Unternehmen macht die Akzeptanz von Regios nur Sinn, wenn sie Zulieferungen aus der entsprechenden Region beziehen und die daraus entstehenden Kosten mit der Regionalwährung begleichen können. Jeder Regio-Akzeptant steht vor der Situation, den Regionalwährungs-Umsatz wieder regional auszugeben, woraufhin das Zahlungsmittel in der regionalen Wirtschaft kursiert.
Das heißt: Eine Regionalwährung stimuliert anfangs bereits bestehende regionale Wirtschaftsbeziehungen. Die in der Regionalwährung gebundene Kaufkraft bleibt in der Region und fließt regional ansässigen Unternehmen als Umsatz zu, die mit diesem Umsatz ihre regionalen Lieferanten bezahlen können, die wiederum ihre regionalen Zulieferer bezahlen und so weiter. Diese Kaufkraftbindung bremst den oben beschriebenen Kaufkraftabfluß in dem Maße, wie Regionalwährung in das Wirtschaftssystem eingebracht wird, da jegliche in der Regionalwährung gebundene Kaufkraft innerhalb der Region verbleibt.
Gedankenspiel Teil 2: Regionalwährung als Anreizsystem zum regionalen Strukturaufbau
Da die Regionalwährung nur zwischen jenen Wirtschaftsteilnehmern umherfließen kann, die sie als Zahlungsmittel akzeptieren, stellt die in der Währung gebundene Kaufkraft eine Art Basis-Umsatz der teilnehmenden Akteure dar (siehe auch: Regionalwährungen als regionales Eigenkapital). Dieser Basis-Umsatz kann aus dem Netzwerk der Regionalwährungs-Akzeptanten nicht abfließen und stabilisiert ihre wirtschaftliche Situation. Über diese Basis hinausgehende Geschäfte werden wie bisher mit Euro abgewickelt.
Nun kommt es in Einzelfällen dazu, daß bestimmte Unternehmen mehr Umsatz in Regionalwährung erzielen, als sie bei ihren Lieferanten ausgeben können. Bei Unternehmen, die zwar regional verkaufen, aber überregional einkaufen, kommt es zu Stauungen von Regionalwährung. Sie haben mehr Regios übrig, als sie zur Kostendeckung ausgeben können. An dieser Stelle beginnt das Anreizsystem der Regionalwährung zu wirken:
Mögliche Reaktionen dieser Unternehmen sind
- weniger Regios von ihren Kunden zu akzeptieren, damit aber zugleich auf potentiellen Umsatz zu verzichten und/oder
- bei der Regio-Initiative Regio in Euro zurückzutauschen und/oder
- nach Alternativen zur Verwendung der Regio-Einnahmen zu suchen.
Da die Akzeptanz der Regionalwährung freiwillig geschieht, hat jedes Unternehmen das Recht, auf Regio-Umsatz zu verzichten und/oder die Kunden um anderweitige Zahlungen zu bitten. Die Regio-Kaufkraft steht aber natürlich nur jenen Unternehmen als potentieller Umsatz offen, die ihren Kunden die Zahlung in Regio ermöglichen.
Wie bei jedem Wechsel zwischen Währungen entstehen beim Rücktausch Kosten. Die meisten Regionalwährungssysteme, bei denen mit Euro-Rücklagen gearbeitet wird, erheben Rücktauschgebühren in Höhe von 5% bis 10%. Dies kann im Einzelfall für das Unternehmen tragbar oder auch nicht tragbar sein.
Abseits des möglichen Umsatzverzichts oder der Inkaufnahme der Rücktauschkosten besteht für Unternehmen mit Regio-Überschüssen ein Anreiz, neue regionale Zulieferer zu suchen. Gibt es solche Anbieter in der Region, so entstehen neue Geschäftsverbindungen im regionalen Wirtschaftsnetzwerk und regionale Unternehmen erhalten die Chance auf zusätzlichen Umsatz und die bessere Auslastung der vorhandenen Kapazitäten. In diesem Falle bewirkt die Regionalwährung die Entstehung neuer Verbindungen im regionalen Wirtschaftsnetzwerk und eine Verlagerung von Wertschöpfung in die eigene Region. Die entstandenen Verbindungen können künftig nicht nur für Geschäfte in Regio sondern auch für Euro-Geschäfte oder weitergehende Kooperationen nutzbar sein.
In einer strukturschwachen Region ist es jedoch wahrscheinlich, daß bestimmte Zulieferleistungen gar nicht erbracht werden können, weil die jeweiligen Wirtschaftstrukturen gar nicht vorhanden sind. In diesem Fall fungiert die Regionalwährung als Indikator dafür, wo die regionalen Wirtschaftskreisläufe nicht reibungslos funktionieren. Die jeweiligen Lücken in der Wertschöpfungskette sind anhand der Lieferantenstruktur des jeweiligen Unternehmens ablesbar: Außerregionale Zulieferleistungen, für die keine Entsprechung in der eigenen Region zu finden ist, können als Lücke in der regionalen Wertschöpfungskette betrachtet werden. An dieser Stelle wird eine Regionalwährung zum Analyseinstrument des Regionalmanagements. Mit Hilfe einer Abfrage der Zuliefersituation des jeweiligen Unternehmens können wertvolle Informationen für weitere Maßnahmen abgeleitet werden (siehe auch: Fragebogen für Teilnehmer eines Regionalwährung-System).
Der in dem skizzierten Fall anfallende Überschuß an Regionalwährung wirkt als Anreiz für die lokale Unternehmerschaft, die Wertschöpfungslücken zu schließen. Beispielsweise haben Unternehmer mit Regio-Überschuß die Möglichkeit, diesen Überschuß zur vertikalen Diversifikation einzusetzen und die bislang zugekauften Leistungen künftig selbst herzustellen.
In Zusammenarbeit mit der Regio-Initiative, anderen Institutionen zur Wirtschaftsförderung und Arbeitsvermittlern können in der Region Gründer/Unternehmer gesucht werden, die durch Neugründungen beginnen, die Lücken in der Wertschöpfungskette zu schließen. Eine Neugründung von Unternehmungen auf dieser Basis hat den Vorteil, daß bereits Kunden für die künftig angebotenen Produkte und Leistungen vorhanden sind (nämlich die Unternehmen mit Regio-Überschuß und einem Bedarf an entsprechenden regionalen Lieferanten). In Form des Regio-Überschusses steht bereits ein Teil des künftigen Umsatzes zur Verfügung. Eine (beispielsweise genossenschaftlich organisierte) Kooperation zwischen künftigen Gründern und künftigen Abnehmern kann diese Entwicklung erleichtern und durch Arbeitsvermittler und Regionalmanagement-Tätigkeiten gefördert werden. Der Regio-Überschuß kann als Anschubfinanzierung/Kredit für die Neugründung eingesetzt werden, womit eine Alternative zum Umsatzverzicht oder kostenpflichtigen Rücktausch von Regio in Euro zur Verfügung steht.
Da es in strukturschwachen Gebieten naturgemäß an Wirtschaftsstruktur mangelt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, daß mehr als ein Unternehmen nach entsprechenden regionalen Lieferanten sucht, die bislang nicht existieren. Mit Hilfe der Regionalwährung werden die benötigen Strukturen sichtbar gemacht. Wird diese Gruppe von Unternehmen durch eine übergeordnete Instanz koordiniert, so erhöht sich die Wahrscheinlichkeit der Neugründung zum Zwecke der gemeinschaftlichen vertikalen Diversifikation (Stichwort "Joint Venture"). Dies bereichert die regionale Wirtschaft durch neue Unternehmen und die Strukturschwäche der Region kann perspektivisch behoben werden.
Fazit
Strukturschwache Gebiete leiden aufgrund des dauerhaften Imports von Zulieferungen an Kaufkraftabfluß. Mangelnde Kaufkraft führt zu mangelndem Umsatz und damit zu Entwicklungen, welche die Struktur strukturschwacher Gebiete noch weiter abbauen.
Der Einsatz einer Regionalwährung in diesen Gebieten bindet Kaufkraft an die Region. Die regionale Kaufkraftbindung stimuliert regionale Wirtschaftskreisläufe, indem die Suche nach regionalen Geschäftsverbindungen angeregt wird. Die in der Regionalwährung gebundene Kaufkraft bietet eine stabile Umsatzbasis für die teilnehmenden Akteure. Darüber hinaus hilft eine Regionalwährung, Lücken in der regionalen Wirtschaftsstruktur sichtbar zu machen. Durch Ausweitung des Geschäftsbetriebs einzelner Unternehmen oder durch Kooperationen können die Lücken in der regionalen Wirtschaftsstruktur gefüllt werden. Die Regionalwährung hilft somit, neue regionale Wirtschaftsstrukturen zu formen, Neugründungen zu forcieren und damit Arbeitsplätze zu schaffen.