Gründe, Organisationen zu etablieren, gibt es genug: Sich ins gesellschaftliche Leben einzumischen oder besondere Ziele verfolgen zu wollen kann Ursachen dafür sein, wenn sich Menschen zusammenfinden. Dabei begegnen sie oft Hürden, die es zu bewältigen gilt. Ein Ansatz, wie Organisationen entwickelt werden können, soll im Folgenden dargestellt werden.
Dabei wird auf die Entwicklungstheorie von Spiral Dynamics zurückgegriffen. Diese Systemperspektive beruht auf evolutionspsychologischen Grundlagen, die unter anderem auf Ken Wilber zurückgehen. Wilber analysierte die Entwicklung des menschlichen Bewusstseins von seinen Anfängen bis heute und versuchte, zukünftige Entwicklungsschritte vorherzusehen. Die Entwicklung des menschlichen Bewusstseins verläuft demnach ganz ähnlich wie die Entwicklung der menschlichen Spezies, wie ihn Charles Darwin in seiner Evolutionstheorie beschrieb. Der auf Selbstähnlichkeit beruhende Evolutionsansatz läßt sich jedoch auch auf Gruppen von Individuen übertragen, also auf Organisationen.
Spiral Dynamics kennt 8 Entwicklungs-Ebenen. Wendet man das System konsequent an, so läßt sich sagen: Keine der Ebenen kann übersprungen werden, sondern jede einzelne muss durchlebt werden. Dies gilt für die Gruppe als Ganzes als auch für jedes einzelne Gruppenmitglied (was besonders wichtig ist für Neulinge, die hinzustossen, wenn die Organisation bereits spätere Entwicklungsstufen erreicht hat). Die Arbeit einer Gruppe hinsichtlich ihrer Zielsetzung beginnt nicht erst mit Erreichen der letzten Ebene, sondern passiert auf jeder Ebene, die eine Organisation durchläuft – jedoch auf jeder Ebene natürlich nur auf Basis der bis dahin verfügbaren Ressourcen. Parallel zu den zielgerichteten Aktivitäten entwickelt sich die Organisation fort bzw. wird von ihren Mitgliedern weiterentwickelt. Im Idealfall führt dies zu höherer Effizienz bei gleichzeitiger erfüllender Arbeitsgrundlage für die Organisations-Mitglieder.
Eine Organisation zu begründen bedeutet, sie von der ersten Ebene der unbewussten Einheit mit der Masse (beige Ebene) auf die zweite Ebene zu heben: Die Gruppierung von Individuen um ein konkretes Thema (purpurne Ebene). Jede Gruppe von Menschen, die ein bestimmte Thema verfolgt, sammelt sich anfänglich in formlosen Gruppen. Meist geschieht hier ein lockerer Austausch über das Thema sowie die ersten Schritte des Kennenlernens, die als Grundlage für Vertrauen und künftige formellere Zusammenarbeit nötig sind. Zielgerichtetes Arbeiten ist in diesem Zustand selten der Fall, der lockere Informationsaustausch dominiert diesen Entwicklungsschritt. Die Gruppe findet, sofern sie ihr Thema dauerhaft bearbeitet, gewisse Rituale, die sich beispielsweise in regelmäßigen Treffen manifestieren, die oft nach ähnlichem Procedere ablaufen. Diese Rituale helfen, sich als Gruppe zu definieren und zu festigen.
Organisationsentwickler beflügeln diesen Entwicklungsschritt, indem sie Plattformen zur Kommunikation schaffen, beispielsweise in Form von persönlichen Treffen, der Bereitstellung eines Internetforums oder Mailinglisten. Im Besonderen sollten Diskussionen über die Zielsetzung von Aktivitäten angestossen werden. Sie zeigen auf, wohin die Menschen ihre Organisation entwickeln wollen und trennen jene Menschen, die auf die Zielsetzung hinarbeiten von jenen, die andere Ziele bevorzugen.
Die dritte Ebene (rote Ebene) erreicht eine Gruppe, sobald sich das Kennenlernen so intensiviert hat, dass einzelne Teilnehmer die Fähigkeiten und Absichten anderer gut einschätzen können. Jetzt kristallisieren sich einzelne Individuen als Führungspersönlichkeiten heraus. An ihren Aktivitäten orientieren sich die anderen Gruppenmitglieder. Die Vorbildfunktion der Führungspersonen führt im Idealfall dazu, daß andere Mitglieder für jeweilige Teilbereiche ebenfalls Führungsverantwortung übernehmen.
Organisationsentwickler beflügeln diesen Entwicklungsschritt, indem sie konkrete Aufgaben provozieren, die die Gruppe erledigt. Dies kann die Organisation von Veranstaltungen sein, die Erarbeitung von Konzeptpapieren usw. Der Gruppenprozess, der Führungspersönlichkeiten herauskristallisiert, sollte durch Moderationstechniken begleitet werden. Moderation hilft, die Aufgabenverteilung zwischen den Akteuren ohne destruktive Konflikte herauszuarbeiten. Konflikte sind ein ganz normaler Vorgang während dieses Prozesses, sie sind Teil des Kristallisationsvorganges. Wichtig ist, zerstörerische Entwicklungen zu vermeiden, die in dieser Phase besonders auftreten können.
Der Schritt zur vierten Ebene (blaue Ebene) ist jetzt offen. Jetzt formalisiert sich die Gruppe, beispielsweise indem ihr eine rechtliche Form gegeben wird, wie beispielsweise als Verein, Genossenschaft, GmbH usw. Um die Formalisierung vorzunehmen ist es nötig, Zielsetzungen und Strukturen klar zu definieren. Das geschieht, indem Satzungen und Verantwortlichkeiten definiert und schriftlich niedergelegt werden, wie dies zu einer Vereinsgründung auch rechtlich gefordert ist. Die so gestaltete Ordnung stellt den Rahmen dar, in welchem die Organisation agiert. Ab jetzt kann von einer Organisation im engeren Sinne gesprochen werden.
Organisationsentwickler helfen, die Entwicklung zu formalisieren, indem sie die richtige Rechtsform finden und Satzungen und Organigramme mitentwickeln. Für die jeweiligen Arbeitsbereiche werden die passenden Personen zugeordnet und gegebenfalls weitergebildet. Lücken im Personal sollen durch zielgerichtete Personalwerbung gefüllt werden.
Die fünfte Ebene (orangene Ebene) dezentralisiert Aufgaben. Abteilungen oder ähnliche Teilorganisationen bekommen weitgehende Autonomie über ihre Aufgabenbereiche und sind gleichzeitig angehalten, ihre Aktivitäten an der gemeinsamen Zielsetzung auszurichten. Im Idealfall identifizieren sich alle Mitarbeiter mit dem vereinbarten Ziel, was intrinsische Motivation ermöglicht. Organisationen, deren Mitarbeiter aus sich heraus motiviert sind das gemeinsame Ziel zu erreichen, sind schlagkräftiger und finden eine Vielzahl von Angriffspunkten zur Zielerreichung.
Nach außen spricht die Organisation mit einer Stimme, was anhand vorgebener Ziele und Rahmenbedingungen einfach ist.
Organisationsentwickler helfen auf dieser Ebene, indem sie die passenden Personen zu den jeweiligen Aufgaben finden bzw. die passenden Aufgaben zu den jeweiligen Personen. Sprachregelungen für die Außenkommunikation und motivationsfördernde Aktivitäten erleichtern die Entwicklung. Die Spezialbereiche, die durch die dezentralisierte Aufgabenverteilung entstehen, müssen durch Fachwissen, Weiterbildung und Personalentwicklung stabilisiert werden.
Auf der sechsen Ebene (grüne Ebene) versucht die Organisation, als gleichberechtigter Partner im gesellschaftlichen Raum wahrgenommen zu werden. Es wird versucht, Kontakt mit anderen Organisationen sowie Einzelpersonen aufzunehmen, die den Zielsetzungen entsprechen oder mit ihnen kompatibel sind. Netzwerkarbeit zwischen Organisationen und zwischen Einzelpersonen wird wichtiger Bestandteil der Arbeit. Man will als Partner auf gleicher Augenhöhe mit anderen Organisationen interagieren und versucht, gesellschaftliche Anerkennung durch die Arbeit der Organisation zu erreichen.
Organisationsentwickler versuchen diese Ebene durch die Schaffung eines professionellen Außenauftritts zu unterstützen, der sich an dem Auftritt anderer, vergleichbarer Gruppen orientiert. Kontakte zu anderen Gruppen werden aufgebaut und ihre Betreuung gewährleistet. Das Selbstbewusstsein der Organisation wird darauf ausgerichtet, sich als gleichberechtigter Partner mit anderen Organisationen zu verstehen. Die Außenkontakte werden strukturiert, so daß jederzeit klar ist, mit welchen Organisationen und Personen man in Kontakt steht, welche Ressourcen diese Kontakte eröffnen und welche Aufgaben von ihnen bearbeitet werden. Hilfreich ist, die Kontakte zu anderen Organisationen redundant zu gestalten, indem jeder Kontakt von mindestens zwei Personen betreut wird.
Um die eigenen Ziele zu erreichen ist es notwendig, sich mit den im gesellschaftlichen Raum existierenden Wünschen und Anforderungen zu befassen. Auf der siebten Ebene (gelbe Ebene) reagiert die Organisation flexibel auf die Wünsche von außen, um durch Entgegenkommen die selbstverfolgten Ziele weiterzutragen. Es wird deutlich, welche Aufgaben die Gesellschaft für die Organisation bereithält, die durchaus im gewissem Maße von den Ursprungszielen abweichen können, nicht jedoch im Widerspruch zu den Ursprungszielen stehen dürfen. Die Organisation versteht sich als Baustein im gesellschaftlichen Universum, der einerseits durch die eigenen (inneren) Zielvorstellungen und andererseits durch die von außen eindringenden Anforderungen positioniert wird. Im Idealfall integriert sich die Organisation mit ihren Arbeitsbereichen nahtlos in das sie umgebende gesellschaftliche Gefüge und wird Teil von ihr. Genauso, wie die Organisation äußere Anforderungen in sich integriert, werden die Ziele der Organisation von der gesellschaftlichen Umwelt als notwendig anerkannt, umgesetzt und integriert. Die Baustein-Sichtweise ermöglicht es der Organisation, auch die Ziele befreundeter Organisationen zu transportieren.
Organisationsentwickler fördern die Entwicklung auf dieser Stufe, indem sie ein Rückkopplungssystem installieren, welches auf äußere Anforderungen (wie beispielsweise Kundenwünsche) reagiert. Die Vernetzungsentwicklung der vorherigen Stufe erlaubt es jetzt, Aufgaben und Anfragen auch nach außerhalb der Organisation zu delegieren: Zu befreundeten Organisationen, die sich auf andere Spezialbereiche konzentrieren und entsprechende Aufgaben besser erfüllen können. Organisationsentwickler nutzen dazu die Informationen über bekannte andere Organisationen, wie sie seit der vorherigen Stufe dokumentiert werden.
Auf der achten Stufe (türkis) werden sich die Individuen der Organisation ihrer Rolle im globalen Kontext bewusst. Neben der Erfüllung der eigentlichen Aufgaben der Organisation rückt die Weitergabe der eigenen Erfahrungen in den Vordergrund. Das Teilen von Informationen ermöglicht an anderen Orten des Planeten eine schnellere Umsetzung ähnlicher Zielstellungen und der zugehörigen Organisationsentwicklung.
Organisationen begründen, formen, entwickeln
Die angesprochenen Ebenen sollen einen groben Fahrplan darstellen, an dem man sich beim Aufbau von Organisationen orientieren kann. Für Organisationsentwickler ist es hilfreich, gedanklich immer einige Ebenen vorauszuschauen, jedoch ohne zuviel Druck auf die den Entwicklungsprozess durchlaufenden Personen auszuüben. Vorarbeit kann helfen, den Prozess zu beschleunigen. Neulinge, die in die Organisation integriert werden sollen, bekommen ein breiteres Verständnis, wenn sie mit der Organisationsgeschichte vertraut gemacht werden und einzelne Entwicklungsstufen selbst durchleben müssen.
Auch wenn die Zielerreichung natürlich Priorität hat, kann es kontraproduktiv sein, eine zu große Geschwindigkeit zu verlangen. Gerade der Prozess des Vertrauensaufbaus sowie der Einarbeit in neue Konstellationen oder Aufgaben benötigt einfach Zeit, erst recht, wenn Menschen beteiligt sind, die bislang keine Erfahrungen im Prozess der Organisationsentwicklung haben.
Zu betonen ist, dass keine Ebene als "abgeschlossen" betrachtet werden darf, wenn sie "durchlebt" wurde, sondern ihre Aktivitäten weiterhin im Gesamtgebilde gebraucht werden und entsprechend gelebt werden sollten. Beispielsweise werden durch die sich herauskristallisierenden Führungspersönlichkeiten nicht jene Werkzeuge hinfällig, die zu diesem Kristallisationsprozess geführt haben. Kommunikationsplattformen, Treffen und andere Werkzeuge zum Informationsaustausch werden in die Gesamtstruktur integriert und weiterhin eingesetzt. Eine Stufe baut auf den Errungenschaften der anderen Stufe auf, verbessert sie eventuell oder gleicht Fehlentwicklungen aus, "überwindet" die vorherigen Stufen aber nie oder macht sie überflüssig. Vielmehr entsteht im Laufe des Entwicklungsprozesses eine Organisation, die alle Entwicklungsstufen als integrierte Ganzheit erlebt hat und sie einzusetzen weiß.