Wie wichtig Zukunftsvisionen sind war mir spätestens seit dem Kontakt mit der Idee der "Transition Towns" bewusst geworden. Katastrophenszenarien, die unsere Zivilisation bedrohen (Peak Oil, Black Out, Finanzkrise, Cyberkrieg, Artensterben, Klimawandel), sind die eine Seite der Medaille. Sie zeigen auf, dass unsere Art zu leben und zu wirtschaften nicht nachhaltig ist. Doch viele Menschen entziehen sich diesen Szenarien: Einerseits, weil sie sich als Individuum zu machtlos gegenüber diesen übergroßen Entwicklungen fühlen, andererseits weil die Beschäftigung mit diesen Themen den Geist verdunkeln kann. Um Depressionen zu vermeiden verdrängt mensch die modernen Bedrohungen gern.
Transition Towns: lokal, resilient, visionär
Die Philosophie der "Transition Towns" stellt diese Krisenszenarien zwar ebenfalls als Schubkraft in den Raum, bietet aber drei zusätzliche Perspektiven:
- Aktionsradius Kommune: Es wird empfohlen, sich auf das Naheliegende zu konzentrieren: Die eigene Kommune. Diese ist nah genug, damit auch der Einzelne sie beeinflussen kann und so das Gefühl von Machtlosigkeit verringert. Die eigene Kommune zu verwandeln erscheint machbarer als die ganze Welt zu verändern. Zugleich wird die Nutzen-Fragen für das Individuum klarer: Offensichtlich wird Sinn und Zweck des eigenen Handelns deutlicher, wenn es sich auf "das eigene Nest" bezieht, statt auf eine abstrakte "Welt".
- Resilienz: Statt die Probleme der Welt "zu lösen", empfiehlt der "Transition Town"-Ansatz, die Probleme zu akzeptieren und stattdessen zu fragen: Wie mache ich die wichtigen Systeme in meinem direkten Einflussbereich widerstandsfähiger gegenüber den befürchteten Krisenszenarien? Die Idee der Widerstandsfähigkeit, modern als "Resilienz" bezeichnet, entstammt der Psychologie, wird aber zunehmend auf andere Systeme angewendet. Eine "Transition Town" wird von ihren Bewohnern also dahingehend entwickelt, widerstandsfähiger zu werden. Die Illusion, gegen alle Gefahren gewappnet zu sein, wird zugunsten der Fähigkeit aufgegeben, mit eintretenden Risiken umzugehen.
- Zukunftsvisionen: Wenn Krisenszenarien Schubkraft entfalten, die den Menschen und seine Kommune aus dem Risikobereich hinausdrängen (push), so entfalten attraktive Zukunftsvisionen Sogkraft, die Mensch und Kommune in eine gewünschte Richtung ziehen (pull). Zukunftsvisionen untereinander zu verhandeln bedeutet, sich über Ziele und Richtungen zu verständigen, in die man das kommunale Schiff lenken will.
Diese Überlegungen begegneten mir bereits vor 2010, als die erste Transition-Konferenz in Hannover stattfand. Damals traf ich in Hannover zwei Dresdner, die ebenfalls von Transition-Ideen angetan waren. Diese Begegnung wurde zur Keimzelle von Transition-inspirierten Aktivitäten in Dresden. (siehe auch: transition ist kein Substantiv, www.dresden-im-wandel.de)
Dresden vom Ende her denken
Wir waren in Begriff ein Projekt unter dem Titel "Die Energiewende vom Ende her denken" zu initiieren, als die Ausschreibung zur Projektleitung des Zukunftsstadt-Projekts in Dresden öffentlich wurde. In diesem Projekt war erstmals in Verwaltungskontext Dresdens die Idee der Visionsfindung formuliert. Zwar kam diese Idee nicht aus der Stadtverwaltung selbst, sondern wurde der Landeshauptstadt Dresden quasi durch den Zukunftsstadt-Städtewettbewerb des Bundesforschungsministeriums (BMBF) "untergejubelt", aber der Tenor traf voll ins Schwarze: Da sollte eine Visionsfindung stattfinden, möglichst getragen von breiter Bürgerbeteiligung, die das Ziel konkretisieren sollte, wie Dresden als nachhaltige Zukunftsstadt funktionieren soll. Wir hatten bis dahin genau das getan, solch einen Prozess anzuschieben, als wir im Deutschen Hygiene-Museum Dresden 2012 fragten "Wie funktioniert die Stadt ohne Öl?" oder 2013 aufzeigten, wie stark "Dresden im Wandel" ist. Also bewarb ich mich auf die Projektleitung: Erfolgreich.
Die Zukunftsstadt als Forschungsprojekt
Es macht rückblickend absolut Sinn, dass die Idee zum Zukunftsstadt-Städtewettbewerb vom Forschungsministerium aus lanciert wurde. Denn es wurde schnell sichtbar: Die ganze Idee, Zukunftsvisionen für Städte im heutigen Kontext zu entwickeln ist Neuland. Zwar gibt es kleinere Erfahrungen einzelner Projektbüros, manchmal auch verwaltungsinterne Erfahrungen, aber diese sind kaum bekannt und werden noch viel seltener eingesetzt. In der Dresdner Stadtverwaltung jedenfalls war dieses Zukunftsstadt-Projekt eher ein Fremdkörper: Es gab wenig Vorstellungen, wie man mit diesem Ansatz umgehen kann. Es war wenig vorbereitet (erst 14 Tage nach Projektbeginn war ich fernzugriffsfähig auf eMails), es kam zur Unzeit (Sommerloch, Wahlkampf, Personalwechsel, Flüchtlingsunterbringungskrise), es gab keine Blaupause, wie man solche "hochinnovativen Prozesse" in die Standardverwaltungsabläufe einbindet. Insofern war das Projekt auch ein Forschungsprojekt an der Schnittstelle zwischen Verwaltungshandeln und Bürgerengagement, während es zugleich ein Entwickeln möglicher Veranstaltungsformate und -materialien war. Der Dresdner BMBF-Antrag sah vor, eine "Zukunftsbahn" fahren zu lassen, aber die konkrete Ausgestaltung dieses Ereignisses war noch offen. Gemeinsam mit der Forschungsgruppe Wissensarchitektur entstand eine Art "Zukunftsbahn-Klemmbrett" mit Kurzanleitung, Stift und Klebezetteln, das von zwei Fünfer-Teams in zwei Straßenbahnen in 100facher Ausführung auf den Straßenbahnsitzen verteilt wurde. Die Straßenbahnreisenden wurden durch dieses "Klemmbreitt" und die Zukunftsbahn-Teams eingeladen, ihre Ideen für Dresdens Zukunft auf die Zettel zu schreiben und diese an die Straßenbahnfenster zu kleben. 700 Zettel fuhren am Tagesende in zwei Bahnen durch die Stadt und zeigten uns: Wenn man rohe Gedanken unvorbereiteter Dresdner aus unterschiedlichen Stadtteilen haben will: Solch eine Zukunftsbahn ist dafür bestens geeignet! Allerdings ging dieser Tag auch an den zehn Teammitgliedern nicht spurlos vorbei: Anfang Oktober war die heiße Phase in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung um die Flüchtlingssituation und wir wurden voll mit der angespannten Unruhe unserer Mitbürger konfrontiert. Was uns zugleich zeigte: Zukunftsbahn ist Psychohygiene für die Stadtgesellschaft.
Zukunftsspinnereien
Die Zukunftsbahn war nur eine Art "Vorwärmprojekt". Die Ideen der Mitfahrenden waren vielfältig, aber sehr grob: Auf dem Weg von Zuhause zum Arbeitsplatz, 10 Minuten in der Straßenbahn sitzend, kann man kaum spontan auf tiefgreifende Zukunftsideen kommen. Jedenfalls nicht, wenn das "Visionen von der Zukunft haben" nicht als "Kultur" verankert ist. Eine Kultur des Vorausdenkens, eine Kultur des "Zukunftsideen für die Stadt formulieren", eine "Kultur des Visionierens" gibt es nicht. Die deutsche Visionslosigkeit wurde seit mehreren Jahrzehnten vom Spruch dominiert:
Wer Visionen hat sollte zum Arzt gehen.
Spätestens mit dem BMBF-Zukunftsstadt-Städtewettbewerb ist dies aber vorbei! Vom Forschungsministerium offiziell aufgefordert, Zukunftsvisionen zu ersinnen und zu visualisieren, war endlich eine Legitimation für solch ein "spinnertes Vorgehen" vorhanden. Die Anbindung des Projekts am Dresdner Amt für Wirtschaftsförderung sowie am Büro des Oberbürgermeisters (jetzt: Bürgermeisteramt) war zusätzliche lokale Legitimation. Und trotzdem traute ich mich nur begrenzt, die kommenden Veranstaltungen als das zu benennen, was sie waren: Zukunftsspinnereien.
Um Zukunft zu denken muss man sich von gewissen gedanklichen Begrenzungen frei machen. Zwänge des Tagesgeschäfts hinter sich zu lassen und mal 10, 15, 20 Jahre vorauszudenken und das, was man "sieht" kommunizierbar zu machen: Das ist eine echte Herausforderung für die meisten. Mangels "Kultur des Visionierens" fehlt uns als Gesellschaft das "Training". Unsere "Zukunftsspinnereien" waren daher zugleich Visions-Training wie auch Visions-Werkstatt. Dabei folgten wir folgender Herangehensweise:
- Suche einen Gastgeber zu einem spezifischen Themenkomplex (Bildung, Mobilität, DIY, Nachbarschaft, ...), der Räume für einen Visionierungsworkshop bereitstellt und über Öffentlichkeitsarbeit sein Netzwerk aktiviert.
- Suche Mitveranstalter, deren Netzwerke am Thema Interesse haben sollten.
Mit dieser Herangehensweise blieben die Kosten niedrig, da die Partner Räume und Werbung mitbrachten und wir erreichten verschiedene Netzwerke, die zum Workshop zusammenkamen. Nicht immer gelang das innerhalb des kurzen Projektzeitraumes unter starkem Zeitdruck und mit den geringen Mitteln gut, aber angesichts der vorgegebenen Rahmenbedingungen war diese Strategie sehr erfolgreich. Parallel zu den direkt von uns organisierte Workshops gab es auch noch solche, die von Partnern organisiert waren, die leicht anders abliefen und auch andere Ergebnisse produzierten. (Plant Values, Tagesworkshop "Nachbarschaft"). Vor dem Hintergrund des BMBF-Ziels, eine ganzheitliche Vision einer nachhaltigen Stadtgesellschaft möglichst visuell darzustellen, waren die Ergebnisse dieser Workshops nicht leicht integrierbar. Aber dies ist eben eine Erkenntnis aus diesem Forschungsprojekt: Das Ziel des Unterfangens muss klar kommuniziert werden und die Mitstreiter und ihre Methoden müssen auf die Ergebnisverwertung abgestellt werden.
Die Workshops, die letztlich als "Zukunftsspinnereien" abliefen, folgten überwiegend diesem Muster:
- Ankommen, begrüßen, die Leute in Kontakt miteinander bringen.
- Erläutern des Zukunftsstadt-Prozesses, des Gesamtziels und des Abend-Ziels, sowie der Methodik.
- Sammeln von Themen, die die Leute mitgebracht haben, analog einem "Open Space" oder "Barcamp".
- Sortieren und Gruppieren der Themen, so dass sich Gruppen zu 2 bis 8 Leuten finden konnten, die dann meist etwa 1,5 Stunden Zeit hatten, ihr Thema zu diskutieren.
- Ein besonderes Merkmal unserer Workshops war ein vorbereitetes Arbeitsblatt in A1-Größe: Unser Zukunftsstadt-Visionsblatt. Die linke Seite des Blattes ist strukturiert Kästchen und Anstrichen sowie Überschriften: Die Nutzer sollten den Titel der Vision eintragen, in welchem Jahr die Vision spielt, welche Stichworte mit der Vision verbunden sind, welche Entwicklungen sie zu dem Thema nicht haben wollen (Dystopie), welche Akteure in Dresden diese Vision voranbringen usw. Die rechte Seite des Blattes war leer und trug die Überschrift: "So sieht unsere Vision aus:" Diese Seite des Arbeitsblattes war die Mal-Fläche, denn Ziel des Abends war, möglichst visuelle Darstellungen einer Zukunftsvision zu erhalten.
- Abschließende Kurzvorstellung einzelner Ergebnisse, Reste des Buffetts leeren.
Als Ergebnis sammelten wir 70 solcher Visionsblätter zu den unterschiedlichsten Themen mit unterschiedlichster inhaltlicher und optischer Qualität.
Über Visionen
Ernüchternd war für mich die Begegnung mit progressiven Akteuren der Dresdner Stadtgesellschaft, die den Nutzen von Visionen so gar nicht verstehen wollten. Daher ist es mir wichtig, hier nochmal ein paar Gedanken dazu darzulegen.
Ich interpretiere eine (Stadt-)Gesellschaft als Schwarm von Individuen. All diese Individuen tun ihr Tagewerk und folgen dabei lokalen Zielstellungen. Diese lokalen Zielstellungen setzen sie sich im Privaten selbst (Haus, Kinder, Urlaub, Hobbies) und im beruflichen werden die Ziele vom Arbeitgeber und Vorgesetzten gesetzt. Somit bilden sich innerhalb des Stadtschwarms Teilschwärme, die ihren jeweiligen Zielen nachgehen. Das große Ziel ist dabei für so manchen Zuarbeiter nicht erkennbar, auch weil im Berufsleben oft die Maxime gilt: "Du musst nur das wissen, was du wissen musst."
Davon ausgehend, dass wir uns gesellschaftlich in einem Transformationsprozess befinden, stellt sich die Frage: Wohin transformieren wir uns? Legt man absolute Machtlosigkeit des Individuums und seines Schwarms zugrunde, sind die folgenden Überlegungen sinnlos. Glaubt man allerdings an den Menschen als gestaltendes Wesen und an die Stadt als sich selbst wandelnden Organismus, so wird deutlich:
Jeder Einzelne gestaltet als Teil der Stadtgesellschaft das Stadtleben mit.
In einem Transformationsprozess muss man zur bewussten Mitgestaltung allerdings wissen: Wohin soll denn die Reise gehen? Was ist das Ziel des Handelns? Welches Ergebnis soll nach der Transformation vorhanden sein? Solche Fragen werden leider selten gestellt, von einer Kultur des Visionierens sind wir sehr weit entfernt. Ich denke allerdings: Ohne zu wissen, wo man eigentlich hin will, ist es ganz schwer, überhaupt den ersten Schritt zu setzen. Schließlich könnte der Schritt in die entgegengesetzte Richtung führen, zu der man eigentlich will. Visionen fungieren daher als Leit-Bilder, an denen man sich orientieren kann. Als Leuchttürme, die Ziele im dunkeln anzeigen. Ohne solche Zielvorstellungen sind sowohl Richtung wie auch erste Schritte schwer erkennbar und auch die Motivation jener, die mitgehen sollen, ist schwer herstellbar.
Wenn Einzelne Visionen haben, ist das schön. Aber um eine Stadtgesellschaft in Bewegung zu versetzen, kommt es außerdem darauf an, wie die Visionen kommuniziert werden. Eine deutsche Redewendung sagt: Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte. Und ich glaube daran: Wer es schafft, ein attraktives/anziehendes Zukunftsbild zu zeichnen, versetzt den Schwarm in Erregung, diesem Bild zu folgen. Man denke am die Rede Martin Luther Kings, in der er seinen Traum beschreibt: I have a dream. Diese Rede ist auch deshalb so im kollektiven Gedächtnis verankert, weil sie so emotional und bildhaft ist. M.L. King ist es gelungen, seine Bilder einer zukunftsträchtigen Gesellschaft so in den Köpfen der Zuhörenden zu verankern, dass 40 Jahre später ein braunhäutiger US-Amerikaner US-Präsident wurde - zu Zeiten Kings für die meisten un-denk-bar. Und selbst wenn der Rassismus in den USA und weltweit noch längst nicht überwunden ist, so ist die bildhafte, visionäre Landschaft, die King in seiner Rede zeichnete, weiterhin ein Ziel, auf welches Milliarden Menschen hinträumen. Das ist die Kraft starker visueller Visionen.
Erst wenn Visionen von Einzelnen aber kommunizierbar werden, um von Kopf zu Kopf zu wandern, erst dann entsteht die Möglichkeit, dass nicht nur Einzelne, sondern der Schwarm sich auf den Weg macht. Allerdings wissen wir aus der Schwarmforschung auch: Es ist nicht nötig, dass alle Individuen eines Schwarms sich auf den Weg machen: Es reicht, wenn eine kritische Masse sich bewegt. Es ist Schwärmen eigen, dass der Rest des Schwarms mitzieht. Visionen für die Zukunft von Städten und Dörfern sollten also nicht nur in den Köpfen Einzelner existieren, sondern in möglichst bildhaften Darstellungen kommunikationsfähig gemacht werden. Diese Überzeugung wuchs bereits lange vor dem Zukunftsstadt-Projekt in den weltweit verteilten Transition-Netzwerken.
Umso begeisterter war ich davon, dass das BMBF nicht nur den Auftrag zu einer Visionsfindung formulierte, sondern zugleich eine möglichst visuelle Darstellung dieser Vision erbat. Gern haben wir diesen Ball aufgegriffen und verwandelt!
Unzulänglichkeiten
Experimenten wohnt die Möglichkeit des Scheiterns inne. Experimentieren heißt, Dinge in Gang zu setzen, deren Ausgang nicht gesichert ist. Obwohl wir in Dresden mit unserem Zukunftsstadt-Projekt sehr erfolgreich waren - Dresden ist die einzige sächsische und die größte Stadt des Teilnehmerfeldes in der 2. Phase! - bleiben Kritikpunkte übrig. Dies gilt insbesondere für folgende Punkte:
- wie wurde der Prozess durchgeführt und kommuniziert
- wie entstand das endgültige Zukunftsbild
- wie gelang die Verankerung in der Stadtverwaltung
Ein Hauptproblem des Projekts war die Ausstattung mit Ressourcen, insbesondere: Zeit! 9 Monate, um in einer Halbmillionenstadt einen Visionierungsprozess durchzuführen - inklusive Vorbereitung - ist viel zu wenig. Zum 1. Juli zu beginnen, also mitten im Sommerloch, zeugt von wenig Sensibilität hinsichtlich des sozialen Lebens im Jahresverlauf. Dies führte an vielen Stellen dazu, das Hektik und Abarbeitungswut dominierten über gut überlegte Strategie. Unter die Räder kam dabei insbesondere eine ausgewogene Kommunikation an Interessierte und Nichtinteressierte. So haftet dem Ergebnis der Makel an, weit entfernt von einem repräsentativen Zukunftsbild zu sein. Andererseits gilt, dass viele zukunftsgestaltende Akteure sich stark eingebracht haben und die Frage erlaubt sein muss, wie in Stadtschwärmen eigentlich Zukunft entsteht. Gut möglich, dass es immer nur eine überschaubare Gruppe von Frontrunnern ist, die als erstes aktiv werden und denen der Schwarm folgt. Hier wäre mal Grundlagenforschung angebracht, liebes BMBF.
Die Frage nach der Legitimität des Zukunftsbildes treibt mich ganz persönlich um. Denn letztlich ist es so, dass ein Großteil des Bildes vor allem meinem Kopf entsprungen ist, zwar hochgradig inspiriert von all den Visionsblättern und Gesprächen, aber letztlich von mir skizziert und inhaltlich ausgefüllt. Oder wie Wissensarchitekt J.R.Nönnig zwischendurch halb im Spaß meinte: "Norbert ist das Medium". Angesichts dessen, dass die Kraft von Zukunftsbildern prinzipiell dazu geeignet sind, als selbsterfüllende Prophezeiung zu fungieren, fühle ich mich mit dieser Verantwortung nicht wohl. Zu meiner eigenen Beruhigung sage ich mir, dass es aus dem Zukunftsstadtteam und den Akteure um den Projektkern herum keinerlei Widerspruch zu diesem 5-Entwicklungsebenen-Bild gab, und auch keine Alternativvorschläge gebracht wurden. Insofern fühle ich mich als Projektleiter legitimiert, dieses Bild zur Diskussion zu stellen und habe es bewusst mit einer Versionsnummer 1.0 versehen. Zugleich wünsche ich mir eine Diskussion in der Stadtgesellschaft über dieses Bild: Unternehmen, Behörden, Initiativen, Vereine, Forscher und Privatpersonen sollten sich dazu positionieren, sollten sagen, wohin sie mitziehen würden und wohin nicht. Sollten Varianten des Bildes erstellen und andere Bilder kreieren. Ein Filterungsprozess, bei dem größere Teile des Stadtschwarms sagen: "Bei Punkt X gehe ich mit, Punkt Y würde ich folgendermaßen formulieren..." würde dem Zukunftsbild größere Legitimität verschaffen.
Zuletzt sehe ich Spielraum bei der Verankerung des Projekts in der Stadtverwaltung. Bislang gab es nur punktuelle Verbindungen in die einzelnen Ressorts. Andererseits geht das vielleicht auch nicht anders, angesichts Vorbereitungszeit und "Fremdkörpereigenheiten" solch eines Projekts. Umso besser, dass Dresden in Phase II des Zukunftsstadt-Städtewettbewerbs dabei ist: Auf der Basis der bisherigen Vorbereitungen sollte es den Mitarbeitern der Landeshauptstadt Dresden auch leichter fallen, ihre Rolle zu finden.
Zwischenfazit
Das Projekt war angesichts der Rahmenbedingungen in Dresden sehr erfolgreich. Das Ziel, ein ganzheitliches Bild einer nachhaltigen Zukunftsstadt Dresden zu zeichnen, ist aus meiner Sicht gelungen. Eine erste Version ist vorhanden, mit der die Stadtgesellschaft spielen und anhand derer sie ihre eigenen Selbststeuerungsmechanismen erproben kann. Dresden ist in der 2. Phase, das Projekt wird dann angesiedelt sein an der neu gegründeten Strategieabteilung im Bürgermeisteramt. Dort gehört solch ein Projekt auch hin! Die über die bisherige Projektlaufzeit geknüpften Netze werden sicherlich wieder aktivierbar sein, größere Player wie die Verkehrsbetriebe DVB, die Energieversorger DREWAG, die Wohnungsgenossenschaft WGJ, den Regionalen Planungsverband, die Exzellenzinitiative DRESDEN concept, die Transferstelle der TU Dresden habe ich bereits in der Antragsphase ins Boot geholt und damit für eine gute Verankerung der 2. Phase in der Stadtgesellschaft gesorgt. Die Wissensarchitekten und das Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung sowie die Drähte des Zukunftsstadtteams (Lokale Agenda, Dresden 2030&beyond, Transition-Initiative/Nachhaltigkeitsinitiativen) sind ebenfalls wieder an Bord. Und dennoch bleibt das Projekt: Ein großes Experiment. Ziel der 2. Phase: Pläne zu erarbeiten, wie wir vom Jetzt zur Zukunftsstadt kommen.
Für andere Städte und Dörfer sei hiermit empfohlen: Schauen Sie sich das Dresdner Zukunftsbild an! Die Struktur seiner 5 Entwicklungsebenen ist prinzipiell auf andere Kommunen übertragbar, muss dort "nur" mit lokalen Eigenheiten gefüllt werden. In Dresden liegen Erfahrungen vor, wie man organisatorisch an Workshops herangeht, um die Bürger zum Visionieren zu bringen und es existieren Arbeitsmaterialien für solche Workshops oder die extravagante Idee der "Zukunftsbahnen". Strategisch wäre es mir am liebsten, Interessierte würden nicht direkt in Dresden nach Ergebnissen aus dem Zukunftsstadt-Prozess fragen, sondern in Berlin: Beim BMBF. Anfragen "über Bande" zu spielen hat den Vorteil, dass das Interesse an unseren Dresdner Ergebnissen dann auch in Berlin gesehen wird.
PS: Nochmal ein fettes DANKE an alle, die etwas zu den letzten Monaten beigetragen haben!
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