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Zur Zukunft der Lausitz nach der Braunkohle

Am 14. September 2013 demonstrierten in Dresden ca. 300 vom Braunkohletagebau Betroffene und Randbetroffene aus dem Lausitzer und dem Leipziger Revier sowie unterstützende Dresdner gegen neue Braunkohletagebaue. Ich wurde gebeten, auf der anschließenden Kundgebung ein paar Gedanken zu äußern, die ich hier dokumentiere:

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In der Sächsischen Zeitung vom vergangenen Samstag war ein Leserbrief von Jens Dubrau aus Hoyerswerda. Er betonte, dass 90% der Lausitzer akzeptieren, dass in der Lausitz Bergbau betrieben wird. Diese Zahl hat eine jüngste Umfrage ergeben, die von der Gewerkschaft für Bergbau, Chemie und Erden in Auftrag gegeben wurde. Die Umfrage hat leider nicht erfragt, wie sich die Lausitzer die Zukunft in ihrer Heimat vorstellen.

Ich habe Zweifel, dass 90% der Lausitzer meinen, dass auch nach 2030 der Bergbau weiterhin die wichtigste Branche in der Lausitz sein soll. In der aktuellen Diskussion wird oft unter den Teppich gekehrt, dass es bei der Entscheidung für Nochten II und andere Tagebaue um Kohle geht, die nach 2030 gebraucht wird. Also in 15 Jahren. Viele der Bergleute und Kraftwerker von heute werden dann in Rente sein. Kämpfen sie also darum, dass auch noch ihre Kinder und Enkel neue Seen in der Lausitz anlegen?

Die Diskussion um die Braunkohle darf sich nicht allein um die Jobs von heute drehen. Sie muss sich um eine Vision für die Region drehen. Die Frage muss lauten: Wie wollen wir 2030 leben? Fühlt sich dann immer noch eine ganze Region abhängig von dem Rohstoff, der bereits seit 1980 an Bedeutung verliert? Heute arbeiten im Lausitzer Maschinenbau mehr Menschen als in den Tagebauen und den Kraftwerken und nochmal so viele arbeiten in der Ernährungswirtschaft. Dass über die Braunkohle mehr diskutiert wird als über den Maschinenbau und die Ernährungswirtschaft zusammen, hat möglicherweise auch damit zu tun, dass wir Land wegbaggern. Land, auf dem Menschen leben.

«Jedes Jahr gehen in Deutschland rund 35 000 Hektar fruchtbares Ackerland verloren», sagt der Rostocker Bodenwissenschaftler Peter Leinweber. 35.000 Hektar. Jedes Jahr. Die Lausitz soll ihren Teil dazu beitragen: 1200 Hektar soll Nochten II kosten. Auf einer Ackerfläche dieser Größe ließen sich so viele Kartoffeln ernten, wie eine halbe Million Dresdner jährlich essen. Überall auf dem Planeten versuchen die Menschen Land zu gewinnen: In Dubai baut man Inseln in den Persischen Golf, Singapur erweitert sein Stadtgebiet ständig ins Meer hinein und in Holland versucht man mit raffiniertem Deichbau das Meer vom Land fern zu halten. Aber wir, hier in Sachsen, vernichten nutzbares Land. Wie werden sich wohl 2030 die großen Städte rund um die Lausitz ernähren? Berlin. Oder Dresden. Wo soll die Biomasse wachsen, die unsere Enkel nach dem Ende der Kohle brauchen werden, um Häuser zu heizen oder Treibstoffe herzustellen? Wir bewegen uns derzeit auf einem Pfad, der unseren Nachkommen die Überlebenschancen mindert.

Hier in Dresden hat der Stadtrat ein Integriertes Energie- und Klimaschutzkonzept beschlossen. Dieses Konzept sieht vor, den Kohlendioxid-Ausstoß so zu verringern, dass ab 2030 1 Million Tonnen weniger ausgestoßen werden als heute. Dresden hat Gründe, dies zu tun. Grund Nummer 1 ist: Dresden will sich unabhängiger von fossilen Energierohstoffen machen. Die Menge an Kohlendioxid, die eine Stadt ausstößt, ist ein Zahl dafür, wie abhängig sie von fossilen Energieträgern ist. Je weniger CO2 emittiert wird, umso unabhängiger. Grund Nummer 2: Das Hochwasser. Die zwei zerstörerischen Hochwasser, die in den vergangenen 10 Jahren durch diese Stadt gerollt sind, haben ihre Ursache in den zunehmenden Temperaturen auf diesem Planeten. 1 Million Tonnen CO2 weniger auszustoßen ist Dresdens Beitrag, einen weiteren Temperaturanstieg zu verhindern. Jedoch verdampft diese 1 Million Tonnen auf einen nahezu unwichtigen Beitrag, wenn man sie mit den Kohlendioxid-Emissionen vergleicht, die allein die Lausitzer Kohlekraftwerke in die Atmosphäre blasen. In der Lausitz werden jährlich 50 Millionen Tonnen CO2 in der Atmosphäre verkippt. Jedes Jahr also 50 mal so viel, wie die Stadt Dresden ab 2030 weniger emittieren will. Das Dresdner Ziel ist lobenswert, es ist aber bezüglich des CO2-Ausstoßes wirkungslos, wenn nicht irgendwo Kohlenstoff im Boden verbleibt. Wenn zwar alle Kommunen sogenannte Klimaschutzkonzepte aufstellen, aber dennoch alle verfügbaren Vorräte aus der Erdkruste gekratzt werden, um sie in Kohlendioxid zu verwandeln, dann kann man sich all diese Konzepte auch sparen. Wenn es wirklich das Ziel sein soll, die Kohlendioxid-Konzentration in der Atmosphäre zu begrenzen, dann muss Kohlenstoff im Boden verbleiben. Aus Sicht der hochwassergeplagten Dresdner muss also die Frage diskutiert werden: Wäre es nicht sinnvoll, die Lausitz zur ewigen Kohlenstoffsenke zu machen, also zu einem Ort, wo Kohle bewusst nicht gefördert wird?

Ich muss zugeben, ich war einigermaßen überrascht, als ich vor einigen Monaten das erste Mal hörte, dass die Firmen, die die Braunkohle in Sachsen aus der Erde graben, dafür nichts bezahlen müssen. Ich erinnere mich an Meldungen aus aller Welt, wo die Einheimischen darum kämpfen, an der Rohstoffausbeute in ihrer Heimat beteiligt zu werden. Meist kommen solche Meldungen aus der sogenannten „Dritten Welt“, wo Einheimische sich von Großkonzerne über den Tisch gezogen fühlen. Ich war überrascht zu hören, dass der wertvollste Rohstoff Sachsens kostenfrei abgegeben wird. Die jährlich geförderte Kohle hat einen Marktwert von 600 Millionen Euro. Aber außer dass die Lausitzer dabei helfen dürfen, sie aus dem Boden zu holen, wird niemand an den Gewinnen beteiligt. Hinzu kommt, dass Tagebaue und Kohlekraftwerke keine Wassernutzungsgebühren zahlen, obwohl dieser Industriezweig Wasser in Mengen benutzt, gegen die jedes Wasserwerk blass aussieht. Die Wasserkraftwerke in Sachsen wurden Anfang diesen Jahres von der Befreiung der Wassernutzungsgebühren befreit - sie müssen also neuerdings zahlen. Ist es klug, dass wir von solchen Kleinstkraftwerken Gebühren erheben, aber die Großkraftwerke, die die Wasserqualität ja sehr viel stärker verändern, außen vor lassen? Angesichts leerer Kassen beschleichen mich hier Zweifel am wirtschaftlichen Sachverstand der Verantwortlichen.

Wirtschaftlicher Sachverstand wäre, die Kohleförderung und die Kohleverstromung durch Besteuerung so zu verteuern, dass Gewinne abgeschöpft werden, ohne dass die Zahl der Arbeitsplätze zurückgeht. Die eingenommenen Steuern sollten wieder in die Lausitz zurückfließen, um dort einen Strukturwandel zu finanzieren, bei dem Arbeitsplätze in neuen, anderen, zukunftsfähigen Branchen entstehen! So könnte die Kohle den notwendigen Wandel finanzieren, statt ihn zu blockieren.

Das Geld könnte beispielsweise eingesetzt werden, um die Kommunen in der Lausitz energieautark zu machen. Mit Nahwärmenetzen, großen Gas-Speichern, Methanisierungsanlagen und Energieerzeugungsanlagen, die aus erneuerbaren Energiequellen Überschuss-Strom machen, der in Methan umgewandelt wird, um Energie vom Sommer in den Winter zu schaffen. Das wäre ein Unterfangen, das eine Menge Jobs schafft. Es würde die Lausitz zu einer unabhängigen Region machen, die sich aus den weltweiten Kämpfen um die verbleibenden fossilen Rohstoffe raushalten kann. Es gibt in der Lausitz Maschinenbauer, die die nötigen Bausteine für solche lokalen Energieversorgungssysteme konstruieren könnten. Es gibt Baufirmen, die sowas bauen können. Es gibt Hochschulen, die solche Systeme entwickeln, erforschen und begleiten können. Warum so etwas nicht getan wird? Weil der Niedergang der Region nur verwaltet wird, weil Visionen einer lebenswerten Lausitz fehlen.

Ich kenne Menschen, die sind aus der Lausitz in die Schweiz gezogen. Dort gibt es gutbezahlte Jobs. Die Schweiz gilt als so etwas wie das moderne Paradies. Aber wie viele Entscheider aus der Lausitz waren denn mal in der Schweiz, um von dort zu lernen? Die Schweiz hat nichtmal Braunkohle. Daraus kann der Reichtum also nicht gekommen sein. Woher kommt er dann? Und warum konzentrieren wir uns nicht mal eine Zeitlang darauf, mehr gute Ideen in die Lausitz zu importieren, statt Land in Baggerseen zu verwandeln und Braunkohlestrom zu exportieren?

Danke.

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Am Vormittag desselben Tages positionierte sich die Domowina (erneut) gegen die neuen Tagebau-Pläne. Die Domowina ist der Dachverband der Sorben, die in der Lausitz als Minderheit lebend besonders vom Tagebau betroffen sind. Der sächsische Ministerpräsident entstammt einer sorbischen Familie, hat sich von der Position seiner Volksgruppe bislang jedoch nicht beeindrucken lassen. Der Mitteldeutsche Rundfunk verkürzte die Berichterstattung über die Demonstration in Dresden auf 2 Minuten. Obigen Text wollte der leitende Redakteur nicht mitnehmen, die von ihm gesammelten kurzen Statements (siehe Video) reichten ihm für seinen Job. Die Sächsische Zeitung dokumentiert das Ereignis ohne redaktionelle Anwesenheit mit dem Abdruck der Pressemitteilung der Organisatoren.

9 Kommentare to “Zur Zukunft der Lausitz nach der Braunkohle”

  1. […] Kohle war am Samstag Thema in Dresden. 300 Protestierer und eine Kundgebung rissen symbolisch die Semper-Oper ab, in der – Ironie des Schicksals – gleichzeitig ein Festakt Danke sagte bei den Fluthelfern. Meinen Redebeitrag dokumentiere ich auf Regionalentwicklung.de. […]

  2. Investor sagt:

    Würde wenigstens der Gewinn aus dem verheizen der Heimaterde im Lade bleiben träfe das Sprichwort,, reiche Väter, arme Söhne zu. Aber leider muss man hier den Text korrigieren, dumme arme Väter betrogene arme Söhne. Die FDP hat für ihre Kohlelobby bei der Bundestagswahl die Quittung bekommen.

  3. Jens Besser sagt:

    Sehr guter Beitrag zu einer Region die bildungstechnisch zwar Möglichkeiten hätte ( Hochschule, Gymnasien usw. ) aber trotzdem im wahrsten sinne des Wortes zu blöd ist ihr Chancen zu sehen. Leider gibt es in der Lausitzer Region , wie auch an vielen anderen Orten der Welt ein Problem – wirtschafts- und politikunabhängige Ausbildung zur möglichst unabhängigen, individuellen Meinungsbildung. Und der Kommentar zur Sächsischen ist auch meine Erfahrung. Unter qualitativem Journalismus und Berichterstattung verstehe ich was anderes, als dass man einen PR-Text mit copy& paste in seine Zeitung setzt.
    Aber wen wunderts bei einer Zeitung wo sich der Chefredakteur mit Entertainern auf der Titelseite seines Blattes ablichtet.

  4. Martin sagt:

    Das mit dem Ackerland ist doch sehr übertrieben. Ein Großteil der Lausitz hat wenig fruchtbare Sandböden. Das ist ein wesentlicher Grund für die ausgedehnten Kiefernwälder in der Gegend, die dann tatsächlich abgebaggert werden.

    Wirklich fruchtbare Böden sind in Sachsen-Anhalt nach der Wende durch die Ausbreitung der Gewerbegebiete und neuen Siedlungen am Stadtrand verloren gegangen.

    In der Lausitz wirkt so ein Argument, mit Verlaub, doch etwas lächerlich und erweckt nicht gerade den Eindruck, die Region wirklich zu kennen.

  5. Norbert Rost sagt:

    Du meinst also, weil auf auf Sandboden „nur“ Kiefern wachsen, ist es legitim und unproblematisch ihn wegzubaggern? Ob die übersauerten Seen Biomasse in vergleichbaren Maße produzieren, bezweifle ich.

  6. Martin sagt:

    Ich habe, lediglich auf Fehler in deiner Argumentation hingewiesen. Auf jeden Fall werden die Kiefernwälder wohl nicht halb Dresden mit Nahrung versorgen.

    Und warum sollen die Seen Biomasse produzieren? Wenn dann tragen sie doch eher zum Tourismus bei, auch wenn es im großen Stil noch nicht in Gang gekommen ist, außerdem zur Stabilisierung des Wasserhaushalts der Region und zur Artenvielfalt (Biodiversität) bei, wo voher Kiefernwaldmonokulturen allein standen. Und so sauer sind die Seen nicht mehr. Alles nur eine Frage der Zeit.

    http://www.lmbv.de/index.php/guete-von-lmbv-seen.html

  7. Norbert Rost sagt:

    @Martin: Ich fürchte, es ist keine Frage der Zeit. In dem Artikel, auf den du verlinkst, fällt das Wort „Inlake-Neutralisation“ auf, mit der die „Wassergüte eingestellt“ wird. Was machen die da? Kalken! Tausende Tonnen werden davon jedes Jahr in den Seen verteilt, damit sie nicht umkippen. Ich weiß nicht, wie lange wir das machen müssen, aber ich fürchte, es ist wie bei vielen Braunkohlefolgeproblemen: Kurzfristig ist gar nix.

    Artenvielfalt ist okay. Allerdings sind dafür wohl inzwischen genug Seen da. Oder wird mehr Vielfalt, wenn wir noch mehr Waldkulturen in Seekulturen verwandeln?

    Mein Bild auf Regionen, auf Städte und Umland ist eines, was sich vermutlich von deinem unterscheidet: Ich glaube, dass nach den fossilen Energieträgern (oder besser: schon nach den jeweiligen Fördermaxima) die wirtschaftliche Versorgung eine gänzlich andere sein wird als heute. Ich zweifle daran, dass unser Energiezufluss-Niveau von heute in Zukunft noch aufrechterhalten werden kann. Daraus folgt die Frage: Wie wirtschaften wir auf niedrigerem Energieniveau? Vermutlich werden wir nicht nur sehr viel mehr in den Regionen machen als heute, vermutlich werden wir auch sehr stark auf regionale Ressourcen zurückgreifen. Holz gehört dazu. Dort wo Seen sind, wächst kein Holz. Du magst das „Pillepalle“ finden, nach dem Motto: „die paar Quadratkilometer“. Denken wir jedoch in jenen Zeiträumen, die im Forstbereich üblich sind, könnte sich der Flächenverlust als problematisch herausstellen. Nicht für uns, die wir heute leben, das mag sein.

    Der Tourismus wird auch in der Lausitz nie „in großem Stil in Gang kommen“. Es gibt heutzutage keine Region, die nicht auf Tourismus als Hoffnungspferd setzt. Soviel Urlaub kriegen wir gar nicht, um all diese Touristen zu werden, die in so manchem regionalen Tourismuskonzept erhofft werden.

  8. Jens Dubrau sagt:

    Spannend ist es immer wieder, Beiträge der selbsternannten Energieexperten zu lesen.
    Es macht ihnen nichts aus, sich selbst im Beitrag zu wiedersprechen.
    1. Erhalt der Umwelt,Tagebaue fressen Land–Falsch, jeder Quadratmeter ist hinterher wieder nutzbar
    2. Kohleverbrennung fördert die Klimaerwärmung–Falsch, durch metereologische Aufzeichnungen bewiesen gibt es keine unnatürliche Erwärmung
    3. Kohle ist Sachsens wertvollster Rohstoff–Richtig, warum soll er dann nicht auch nachhaltig gefördert werden?
    Spannend ist, wie sich Leute aus dem Speckgürtel DD erlauben uns in der Lausitz zu erklären, wie wir unseren Lebensunterhalt verdienen sollen. Wieso wird der nachgewiesene Wunsch der Lausitzer nach Arbeitsplätzen in der Kohle nicht akzeptiert. Welche Umweltlobbyisten sind da am Werk?
    Wir sind zu einem Land der Besserwisser und Verhinderer geworden. Gut, dass unser Ministerpräsident Weitsicht für die Wirtschaft, für Arbeitsplätze und für bezahlbaren Strom beweist.

  9. Ludwig Braml sagt:

    Der Rohstoff Braunkohle ist ein Fluch für die Lausitz, dort wo Rohstoffe vorkommen, entstehen Begehrlichkeiten, wird Einfluss ausgeübt, Natur zerstört und werden Eiheimische vertrieben. Aber das kommt auch in Afrika vor, wegen Öl, Gold usw. aber um einheimische hier zu Lande zu vertreiben reicht schon Braunkohle und die muss nicht mal gekauft werden, die wird verschenkt und die darf man dann zwar gegen (Arbeitslohn) denen noch abbauen, den Heimatboden verheizen und die Gewässer versauen. geht’s noch

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